Lima hat Angst, aber die Stimmung ist okay

Lima hatte letzte Woche Geburtstag. Als offizielles Gründungsdatum gilt der 18. Januar 1535, als der spanische Statthalter Francisco Pizarro sich entschloss, an dieser Stelle am Fluss Rímac und in unmittelbarer Nähe zum Meer die Zentrale seines frisch eroberten Vizekönigreichs einzurichten. Erst ein Jahr zuvor hatten Pizarro und seine spanischen Truppen (168 Mann mit 35 Pferden) den Inca-König Atuahalpa gefangengenommen und hingerichtet – mit Billigung und Unterstützung anderer indigener Gruppen, die von den Inca brutal beherrscht wurden.

Das Inca-Reich war am Ende. Eine neue Hauptstadt musste her.

Die Indigenen nannten den Flecken im fruchtbaren Andenvorland mit seinem gemäßigten Klima Limaq Als Lima wuchs eine Stadt, die heute, so ganz neue Zahlen der Nationalen Statistikbehörde, offiziell 8,5 Millionen Einwohner zählt. Es werden mehr sein. Jeder vierte wenn nicht gar jeder dritte Peruaner lebt in der Megametropole, die sich auf einer Fläche so groß wie das Saarland ausgebreitet hat.

Lima linda, ciudad de los jardines – Das liebliche Lima, Stadt der Gärten – Beschreibungen romantischer Natur, die mit der sozialen Wirklichkeit dieser Stadt nichts zu tun haben. Wie sieht diese Wirklichkeit aus? Wie sehen die Bewohner ihre Stadt und das Leben darin? Antworten liefert eine Studie der peruanischen NGO Lima Cómo Vamos. 2.000 Bewohner Limas wurden im November 2012 zu ihren Ansichten über die öffentlichen Dinge befragt – über ihre Lebenssituation, über die Qualität öffentlicher Dienste und Einrichtungen, über die Probleme im Viertel und einiges mehr.

In Stichworten ein paar Ergebnisse aus diesem Papier.

  • Zufrieden mit Lima sind 48% der Befragten, 16% total unzufrieden.
  • Die Lebensqualität negativ beeinflussen folgende Probleme in dieser Reihenfolge
    • Öffentliche Sicherheit, Verbrechensbekämpfung (68% unzufrieden)
    • Öffentlicher Nahverkehr (60% unzufrieden)
    • Soziale Umgangsformen (46% unzufrieden)
  • Relativ zufrieden sind die Bewohner hingegen mit folgenden Angeboten
    • Versorgung mit Waren, Einkaufsmöglichkeiten (49% sehr zufrieden)
    • Kulturangebot
    • Bildungseinrichtungen (33% unzufr, 40 weder noch, 26% zufrieden)

Drei Viertel haben Angst vor Kriminalität, inseguridad ciudadana – Gefühl der Unsicherheit im städtischen Umfeld
Die Menschen fürchten sich vor allem vor Raubüberfällen auf offener Straße, insbesondere im Zentrum von Lima. Das Gefühl der Unsicherheit nimmt sogar zu: die Zahlen gegenüber dem Vorjahr haben sich verschlechtert.

Was einem so passieren kann auf den Straßen findet sich zB auf der Seite Que no te roben  (Lass dich nicht berauben!), auf der jeder derartige Vorfälle eintragen kann. Die Seite ist nicht sehr aktuell, die meisten Einträge datieren aus 2010/11. Allerdings werfen die geschilderten Raubüberfälle, teils selbst erlitten, teils beobachtet, ein Schlaglicht auf die Situationen, in die man geraten kann.

Ein Opfer schildert Folgendes um 10 Uhr Abends in einem Innenstadtbezirk.

Zunächst näherten sich 2 Jugendliche, ungefähr 20 Jahre alt. Als ich mich zur Wehr setzte, näherten sich 2 weitere, die dort herumlungerten. Sie nahmen mir meine Uhr, meine Brieftasche und Rucksack und verdrückten sich in die Seitenstraße.
primero se acercaron 2 jovenes de aproximadamente 20 años.. al poner resistencia se acercaron 2 mas q merodeaban por ahi….y se llevaron mi reloj, billetera y mochila metiendose por el pasaje malambito.

Auf der Rangliste der Verbechen, durch die sich die Stadtbewohner gefährdet fühlen, stehen in der Reihenfolge: Drogenkriminalität, Bandenunwesen, Wohnungseinbrüche, Alkoholismus, Autodiebstahl, Sexuelle Gewalt.

Es gibt aber auch Fortschritte. Die Bedrohung durch herumlungernde Jugendbanden, die pandillas, hat abgenommen und findet sich fast nur noch in den Vorstadtslums. Ähnliches trifft auf Wohnungseinbrüche zu. Interessanterweise fürchtet man sich aber vor allem im Zentrum vor Raubüberfällen. Das hat Konsequenzen für das eigene Viertel. Inzwischen befürwortet mehr als die Hälfte der Befragten eine Abschottung der Straßen und Parks eines Viertels, wenn sich die Nachbarn darauf verständigen. Sicherheit wird privatisiert.

Öffentlicher Personennahverkehr: für die Hälfte ein Problem
Drei Viertel der Stadtbewohner nutzen den Öffentlichen Nahverkehr und nur 12% sind mit eigenem Fahrzeug unterwegs. Täglich plagen sich also Millionen Menschen mit einem ziemlich chaotischen, teuren und unsicheren System.

Als schnell wachsende Millionen-Metropole eines aufstrebenden Schwellenlandes sah sich Lima erst in den letzten Jahrzehnten in der Lage, einen geordneten ÖPNV zu organisieren. Noch ist außer einem fragmentarischen U-Bahn-Bau (Metro) und einem chronisch unzuverlässigem Schnellbus-System (Metropolitano) nicht viel passiert.

Bis heute wird der Großteil des Transports getragen durch ein chaotisches System aus privaten Buslinien, von denen es offiziell fast 700 in der Stadt gibt. Ein Teil dieses Geschäfts läuft informell. Die Kunden sind genervt. Die Meinungen über die Minibusse (wie auch über die Mototaxis) sind verheerend. Die neuen Angebote in staatlicher Trägerschaft kommen weit besser weg – wie übrigens auch die lizensierten Taxis.
Unfälle auf Grund mangelnder Fahrzeugwartung sind in diesem Wirrwarr nicht das einzige Problem.

Ich stieg in einen Minibus ein und als wir zur Brücke in Habich kamen, zogen ein Typ vor uns und ein Typ hinter dem Fahrer einen Revolver. Sie raubten mich und einen Passagier aus, hielten uns eine Stunde fest und ließen uns in Palao laufen. Nicht auf der Alonso Ugarte in Minibusse einsteigen, weil das Piraten sind!

Subí a un colectivo de pro, y cuando llegó a habich (puente) el tipo de adelante y uno detrás del piloto sacaron un revolver. Nos robaron a un pasajero y a mí, nos tuvieron por un lapso de una hora y nos dejaron por palao. NO TOMAR COLECTIVOS POR ALFONSO UGARTE porque son PIRATAS.

Die Stadtregierung versucht gegenzusteuern. 2011 wurden Regelungen erlassen, was prompt zu einem Generalstreik der Transportunternehmer führte. Hier eine Zusammenfassung des Online-Magazins Latina-Press

Eine der neuen Vereinbarungen verbietet, dass Busse in der Mitte der Straße anhalten um Fahrgäste aufzunehmen. Dadurch sollen nach Angaben der Regierung Staus vermieden werden. In Zukunft ist es den Transportunternehmern verboten, minderjährige Fahrtgeld Sammler/innen ohne amtliche Genehmigung einzustellen. Ebenso soll es Mindeststandarts in Bezug auf die Ausstattung und Grösse der Busse geben. Busfahrern soll es nicht mehr gestattet sein, Fahrgäste nach ihrem eigenen Ermessen vom Transport auszuschließen.

Interessant ist ein weiterer Nebenaspekt des Straßenverkehrs. Ob sich denn ihrer Meinung nach die Verkehrsteilnehmer an Ampelzeichen halten würden, wurde gefragt. Nur 18,6 % der Befragten glauben, dass sich alle daran halten. 52% hingegen meinen, nur sehr wenige würden sich daran halten.

Ein Drittel beklagt die Umweltverschmutzung
Hier wird im Zentrum der Stadt an erster Stelle die Luftverschmutzung durch die vielen Fahrzeuge genannt, während die Bewohner der Außenbezirke die schlechte Müllabfuhr und den Mangel an Grünflächen beklagen.

Ein Viertel ist genervt vom informellen und ambulanten Handel
Wie schon die Auseinandersetzungen und brutalen Straßenschlachten bei der Räumung eines Marktes im Stadtviertel Gamarra gezeigt hat: viele Menschen leben vom Groß-, Klein- und Kleinsthandel. Man schlägt sich irgendwie durch, denn soziale Sicherungssysteme sind unbekannt, die Armut, unter der nach wie vor ein Drittel der Peruaner leidet, ist bedrückend. Und da der Staat nichts tut, nicht präsent ist, wird informell gewirtschaftet. Schätzung gehen von einem Anteil der Schwarzwirtschaft von 60% aus.

Die Lage ist ernst, aber die Stimmung ist gut und die Zukunft bietet Chancen.
Trotz der genannten Probleme geben sich die Bewohner Limas optimistisch in Bezug auf die eigene Zukunft und die ihrer Familie. Zwar fühlt sich immer noch ein Viertel von Armut betroffen, aber die Zahlen sinken ständig und die Hoffnung ist bei vielen groß, ihre Lage bald zu verbessern. Insbesondere in den Stadtvierteln, in denen die Armut groß ist, ist auch der Optimismus bei der Beurteilung von Zukunftschancen am weitesten verbeitet.
Die Menschen scheinen die Auswirkungen des peruanischen Wirtschaftswachstums bereits teilweise zu spüren. Die soziale Ungleichheit tangiert das aber kaum. Nur 17% glauben, hier sei etwas erreicht worden.

Fazit
Die Ergebnisse der Befragung zeigen die Probleme Limas deutlich: Kriminalität, Chaos beim Nahverkehr, Umweltprobleme, allgegenwärtige Schwarzökonomie. Die Limeños jedoch verfallen nicht wirklich der Apathie, sondern scheinen relativ optimistisch zu sein, ihre Lage bald zu verbessern.

 

Spargel aus Perú

Gestern kaufte ich ein in der Stuttgarter Markthalle. Für ein Hühner-Frikassee wurde etwas Spargel benötigt. Gerne Thai-Spargel. Am Stand der Blick aufs Etikett: Urspungsland Perú.

Die Firma INKAFRESH (!) exportiert offenbar Grünen Spargel in die EU, der im südperuanischen Ica kultiviert wird, so die Aufschrift. Inkafresh hat noch mehr Produkte im Angebot: Ingwer, Zuckererbsen, Zwiebeln, Rohrzucker.

Der Anbau von Spargel hat Tradition in den peruanischen Küstenregionen, ist allerdings in den letzten Jahren stark angestiegen. Exportierte Perú 1998 Spargel im Wert von 100 Mio Dollar so wurden daraus binnen zehn Jahren 450 Mio. Die Hälfte davon geht als Frischware in die ganze Welt.

Der Anbau im südperuanischen Ica selbst wird begleitet von kritischen Stimmen. Genannt werden Probleme mit den Folgen der intensiven Bewässerung sowie die zu niedrigen Löhne in die Agroindustrie. Die Exporte von Agrargütern spielen mit einem Anteil von knapp unter 10 Prozent eine nicht unerhebliche Rolle in der peruanischen Handelsbilanz.

Ein Werbevideo der Spargelindustrie, die sich der Begrünung der Wüste brüstet, zeigt die Ausmaße der Entwicklung.

Ich habe den Spargel jedenfalls gekauft. Die Ware war gut. In Perú war die letzten Monate Frühjahr, nun ist Hochsommer. Spargelzeit. Mir ist klar: der Transport von Spargel rund um die halbe Welt auf meinen Küchentisch ist an sich ein Irrsinn. Vermutlich auch noch mit dem Flugzeug.

Ich habe den Spargel trotzdem gekauft.

Die 10 größten peruanischen Twitteraccounts

Twitter ist einer meiner bevorzugten Kommunikationskanäle. Schnell, informativ und zuweilen sehr unterhaltsam – Twitter ist einfach gut. Wie schon bei den größten peruanischen Facebook-Seiten zu beobachten ist, kann auch die Liste der peruanischen Twitterkanäle mit den meisten Followern ein erhellendes Bild der Leidenschaften und Nachrichtenbedürfnisse einer Gesellschaft bieten, von der man in Deutschland nicht so richtig viel erfährt.

Interessant ist bei den peruanischen Accounts, dass alle Kanäle sehr viele Follower aufweisen. Ein Vergleich mit den Zahlen der größten Accounts in Deutschland zeigt das. Ich habe dazu leider aktuell keine wirklich verlässliche Liste gefunden, aber einen der größten Accounts hat sicherlich der Kabarettist Dieter Nuhr (258.000 Follower) gefolgt von Spiegel_Eil (253.000) und ZEIT Online (212.000). Die Zahlen illustrieren ziemlich klar, dass Twitter offenbar in Perú einen wesentlichen höheren Stellenwert als hierzulande hat, handelt es sich doch um ein Land mit nur knapp 30 Mio Einwohnern …

Hier also die Liste mit den 10 reichweitenstärksten Twitterkanälen Perús.

1. @gianmarcomusica (543.000 Follower)
Gianmarco ist so etwas wie der Grönemeyer Perús: eingängiger Rock mit gefühligen Texten. Es selbst bezeichnet sich als Cantautor – Liedermacher. In seinem Feed, den er mehrmals täglich aktualisiert, berichtet er über seinen Musikeralltag, Neuigkeiten für Fans und was ihn so inspiriert.

2. @brunopinasco (513.000)
TV-Moderator einer sehr populären Sendung, in der Kinoneuheiten vorgestellt werden. Twitterei hauptsächlich über seine Show und sein Videoblog.

3. @Ollanta_HumalaT (455.000)
Amtierender Präsident Perús twittert relativ sparsam politische Verlautbarungen staatstragender Natur. Hier zum Beispiel ein Bekenntnis zum Integrationsprozess in Lateinamerika und speziell zur positiven Rolle, die Perú und Chile darin spielen können. Das ist insofern bemerkenswert, da die beiden Länder seit Jahren im diplomatischen Clinch über die Grenzziehung auf hoher See liegen, ein Konflikt der aktuell beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag ausgetragen wird.

4. @gaston_acurio (353.000)
Der Starkoch Gaston Acurio twittert massiv. Auch kurze Rezepte finden sich. Acurio ist quasi eine Art kulinarischer Nationalheld. Ein Phänomen, das hierzulande völlig unbekannt ist.

5. @rmapalacios (349.000)
Engagierte TV-Journalistin und politische Kolumnistin. Hier ein Tweet zur Diskussion über eine Erhöhung der Diäten, die sich die Kongressabgeordneten vor Kurzem genehmigt haben und die in der politischen Öffentlichkeit extrem kontrovers diskutiert wurde. Sie schreibt: „Das Problem des Bonus ist nicht seine Höhe. Das Problem ist seine Rechtfertigung und dass die Abgeordnetem zeigen, dass sie nicht wissen, wozu sie da sind.“

6. @nadineheredia (341.000)
Die Ehefrau des Präsidenten ist eine öffentliche Figur. Immer wieder wird spekuliert, ob nicht eigentlich sie die Strippen in der Regierung zieht. Vorgestern erst hat sie in Interviewws die Möglichkeit offen gelassen, selbst als Kandidatin bei der Präsidentenwahl 2016 anzutreten. Auf Twitter präsentiert sich Heredia als Anwältin der Schwachen, der Kinder, der Familien. Es finden sich vor allem Fotos von Presseterminen. Hier bei einem Termin zur Förderung der Krebsvorsorge.

7. @sancheznataniel (334.000)
Ein TV-Film-Sternchen. Harmlosigkeiten ohne Ende. Vor allem bedankt sie sich immer bei ihren vielen Fans offenbar nach ihren Sendungen. Herzschmerziges.

8. @sofiafrancoa (293.000)
Ex-Model und TV-Moderatorin. Aktuelle Sendung Amor Amor Amor – eine Talkshow auf Boulevardniveau. Sie twittert fast nur Replys. In diesem Tweet zeigt sie sich bereit für den Weltuntergang…

9. @malditaternura (254.000)
Der Kanal von Beto Ortiz, einem politischen Journalisten und TV-Moderator. Ortiz nimmt kein Blatt vor den Mund und twittert gerne voller Ironie und sehr persönlich. Hier Impressionen einer New-York-Reise.

10. @alvarezrodrich (229.000)
Ebenfalls ein Journalist. Arbeitet für die linksliberale Tageszeitung La República. In diesem Tweet verweist er auf seine aktuelle Kolumne mit einer Liste von Büchern, die er als Geschenk empfiehlt.

Fazit
Die großen peruanischen Twitteraccounts sind wirklich groß. Wie auch in Deutschland zu beobachten, kommen fast alle hier genannten Protagonisten aus den klassischen Medien. Aufschlussreich ist der Umstand, dass meinungsstarke, engagierte Journalisten sehr beliebt sind. Vielleicht liegt das daran, dass die peruanische Medienlandschaft nur wenig Qualität liefert und zumeist einem politischen Lager zugerechnet wird. Wirkliche Unabhängigkeit wird auf diesem Gebiet eher vermisst. Dass der amtierende Präsidenten und seine resolute Gattin in der Liste erscheinen, kann wenig überraschen: Macht macht interessant.

Die indigenen Völker Perús

In der Geschichte Lateinamerikas gibt es viele Erzählungen, die nichts anderes sind als reine Propaganda der westlichen Zivilisationen. Eine davon lautet: Als die Spanier den Kontinent eroberten, trafen sie auf eine primitive indigene Bevölkerung. Diese wurde entweder in Kriegen auf Grund unterlegener Technik abgeschlachtet, als Arbeitssklaven in Bergbau und Plantagenwirtschaft vernichtet oder durch vorher unbekannte Krankheiten dezimiert. Das Ergebnis: ein leerer Kontinent ohne Besitzer, auf dem die Europäer Kultur, Wirtschaft und Staaten neu aufbauten.

Diese Erzählung ist eine Lüge. Zwar hat es alle diese Erscheinungen gegeben, aber die Wahrheit ist viel komplizierter. Tatsächlich hat es immer eine gewisse Anzahl indigener Bevölkerung gegeben. Trotz fünf Jahrhunderte kolonialer Repression und kultureller Ausgrenzung gibt es bis heute viele indigene Gruppen, die ihre Sprachen, ihre Kultur und ihre Lebensräume bewahrt haben. Wahr ist aber auch: diese Völker sind sozial ausgegrenzt, ihre Kultur wird bekämpft, ihre Sprachen sind bedroht.

In den letzten Jahrzehnten hat sich allerdings in Lateinamerika zumindest in einigen Teilen der Gesellschaften ein Sinneswandel vollzogen. Das indigene Selbstbewusstsein ist erwacht. Nicht zuletzt seit den politischen Erfolgen des bolivianischen Präsidenten Evo Morales ist offenbar geworden: sie sind noch da, die „Indios“, sie existieren. Und sie beginnen sich als politische Macht zu organisieren. Wobei man gewisse Teile dieser politischen Bewegungen nicht romantisieren sollte. Gemessen an europäischen Maßstäben gibt es durchaus nationalistische Auswüchse, patriarchale Strukturen bis hin zu offenem Rassismus. Repression hat eben viele negative Konsequenzen…

Ich kann an dieser Stelle nicht die komplexen (und sublimen) sozialen Ausgrenzungen der indigenen Bevölkerungsgruppen in der peruanischen Gesellschaft nachzeichnen, aber trotzdem an dieser Stelle mal ein ungefährer Überblick über die indigenen Ethnien Perús. Aussagen über den tatsächlichen Anteil dieser Gruppen an der peruanischen Bevölkerung sind naturgemäß schwierig. Das hängt vor allem mit den Kriterien zusammen, die man anlegt, und an den Unterschieden zwischen Selbst- und Außenansicht.

Wie viele also sind es? Mehr als man gemeinhin annimmt jedenfalls. Die Zahlen bewegen sich zwischen 14 und 30 Prozent der knapp 30 Millionen Peruaner. Insgesamt, so das Instituto Nacional de los Pueblos Andinos, Amazónicos y Afroperuanos (INDEPA) – Nationales Institut der andinen, amazonischen und afroperuanischen Völker – gibt es in Perú 77 Ethnien, 68 Sprachen und 16 so genannte ethnolinguistische Familien. Hier die wichtigsten.

Die Quechua-Völker
Die größte indigene Gruppe sind die Quechua und sich ihrerseits wieder in diverse Untergruppen teilen. Insgesamt handelt es sich um etwa 8 Millionen Menschen, die hauptsächlich in den Hochebenen und Tälern der Anden Perús, Boliviens und Ecuadors leben. Die Quechua verstehen sich als direkte Nachfahren der Inka. Der Name leitet sich ab von der Sprachfamilie Quechua, deren einzelne Sprachen recht unterschiedlich sein können, vergleichbar mit der linguistischen Systematik zb der romanischen Sprachen. Insgesamt gibt es über 20 Varietäten. Im 20 Jahrhundert ist die Zahl der Sprecher gesunken, da nun die spanischsprachigen Schulen bis in die letzten Ecken des Landes reichten. In Perú sollen über drei Millionen Quechua leben. Aus dem Quechua stammen viele Namen von Städten, Dörfern, Flüssen und Bergen aber auch Früchten, Tiere usw. Die bekanntesten Quechua-Lehnworte im Deutschen sind der Kondor (v. kuntur), das Lama, der Puma oder Coca.

Hier ein Video mit der peruanischen Sängerin Yma Sumac, die auf Quechua singt.

Infos über Quechua auf Spanisch:
Wikipedia auf Quechua

Die Aymara
Nach dem Zensus von 2007 soll es in Perú eine halbe Million Sprecher des Aymara geben. Hauptsiedlungsgebiet in Perú ist die Region rund um das westliche Ufer des Titicaca-Sees. Auch hier gibt es wieder Untergruppen, wie die Lupacas oder die Uru, deren Sprache wohl ausgestorben ist. Andere Sprachen stehen kurz davor und werden von internationalen Organisationen versucht zu bewahren. Die Geschichte dieser Gruppen soll bis in die Zeit vor den Inka zurückreichen.

Die Amazonas-Völker
Ich fasse jetzt mal grob zusammen, denn Perú ist das Land mit dem größten Anteil am Amazonasbecken nach Brasilien. In diesen abgelegenen Regionen haben sich viele unterschiedliche Sprachen und Völker entwickelt, die bis heute nicht vollständig erforscht sind. Die größte Gruppe sind die Aguaruna, die 45.000 Menschen zählen und an der Grenze zu Ecuador leben. Andere Ethnien sind wesentlich kleiner bis hin zu den Tacana, die nomadisch und verstreut im peruanischen Regenwald leben und 600 Menschen zählen.

Die Grafik verdanke ich Herrn Bruder vom Freundeskreis Peru Amazónico, der sie seinerseits bei einem Besuch an der Universität in Pucallpa fotografiert hat.

Randnotiz: In Perú sollen 1.500 Deutsche leben.

Infos auf Spanisch zur ethnischen Vielfalt Perús

Deutsche NGOs in Perú

Perú ist ein bitterarmes Land, trotz der wirtschaftlichen Erfolge der letzten Jahre. Zum Vergleich: Mit fast 30 Millionen Einwohnern erwirtschaftet das Land das halbe Bruttoinlandsprodukt von Baden-Württemberg. Die Lebensbedingungen vieler Menschen sind erbärmlich, 30 Prozent gelten als arm, 10 Prozent als sehr arm. Es gibt nach wie vor Regionen wie das VRAEM, wo jedes zweite Kind als unterernährt gilt.

Die Reichtümer sind ungerecht verteilt, der Staat ist schwach in El Perú. Die Steuerquote liegt bei vielleicht 20 Prozent, der Anteil der Schattenwirtschaft ist hoch. Die neoliberale Wirtschaftspolitik hat in den letzten Jahren zwar zu einer positiven Entwicklung bei der Leistungsbilanz geführt, aber eine nachhaltige Strategie vor allem durch Förderung des ländlichen Raumes hat im Grunde nicht stattgefunden. Stattdessen ist das Land abhängig von den Weltmarktpreisen für Rohstoffe, die mit gigantischen Minenprojekten ohne Rücksicht auf Umwelt und Bewohner gefördert und exportiert werden. Perú ist der größte Produzent von Zink, Silber und Kupfer in Lateinamerika und der zweitgrößte weltweit.

In den letzten Jahren haben die Konflikte bei der Umsetzung von Minenprojekten stark zugenommen. Die Landbevölkerung ist nicht mehr bereit, die fatalen Umweltfolgen in riesigen Gebieten hinzunehmen. Sie sehen ihre karge Lebensgrundlage bedroht und wollen sich nicht in die Slums des Molochs Lima treiben lassen Die Proteste wurden zuletzt immer gewalttätiger, es gab Vorfälle mit dutzenden Toten. Der Staat hat allerdings reagiert: es wurde inzwischen ein Gesetz verabschiedet, das die Mitwirkung betroffener indigener Bevölkerungsgruppen bei der Umsetzung solcher Projekte vorsieht. Wie sich das in der Praxis entwickelt steht auf einem anderen Blatt.

Die ärmliche Situation der peruanischen Landbevölkerung in den Anden und im Amazonasgebiet lässt vielen Menschen aus dem kirchlichen und globalisierungskritischen Umfeld keine Ruhe. Sie versuchen seit Jahren direkt zu helfen, vor Ort, mit den Bewohnern. Versuchen Bildungs- und Gesundheitsprojekte anzuschieben, nachhaltige Landwirtschaft zu verbreiten, die Weiterverarbeitung und Vermarktung von Agrarprodukten zu organisieren usw. usf.

Ich kann jetzt keine vollständigen Überblick geben über derartigen Aktivitäten, die sicherlich obendrein nicht alle im Web abgebildet sind, aber ich habe mich mal ein bisschen umgeschaut und erste Ansatzpunkte recherchiert.

Freundeskreis Peru-Amazonico
Beginnen will ich mit dem Freundeskreis Peru-Amazonico, der von Eugen Bruder geleitet wird, einem Agraringenieur und ehemaligen Entwicklungshelfer. Der Freundeskreis unterstützt seit Jahren in Nordperu diverse Projekte mit Rat und Tat und Spenden. Außerdem werden ständig Transporteure für ein bestimmtes Medikament gesucht, das in Perú zum zehnfachen des deutschen Preises gehandelt wird. Es handelt sich um einen Wirkstoff gegen eine lepraartige Krankheit, die durch Stechfliegen übertragen wird. Wer also ein-zwei Kilo im Koffer frei hat … Wie es der Zufall will: Herr Bruder hatte mit uns via Facebook Kontakt aufgenommen. Jetzt werden wir ihn kennenlernen. Denn am Sonntag 4. November findet im Haus des Waldes in Stuttgart-Degerloch ein Amazonien-Tag statt. Dort hat der Freundeskreis einen Info-Stand, bietet peruanisches Mittagessen an und das Wurfspiel Sapo.

Weitere Infostellen von Hilfsprojekten und Nachrichten im Web in deutscher Sprache

  • Ein Webring mit deutschsprachigen Seiten zum Thema Perú
  • Informationsstelle Peru – Netzwerk deutscher Solidaritätsgruppen mit Peru
  • Aktuelle Infos aus El Perú in deutscher Sprache InfoAmazonas.de
  • Import und Handel mit nachhaltig produziertem Kaffee aus den peruanischen Anden
  • Berichte von den Protesten gegen Minenprojekte
  • Bericht bei ADVENIAT (bischöfliches Lateinamerika-Hilfswerk der Katholischen Kirche in Deutschland): Ein deutscher Bischof besucht erschüttert ein „normales“ peruanisches Gefängnis, begleitet von einem deutschen Gefängnisgeistlichen
  • Analyse der politischen Situation in dem lateinamerikanischen Infodienst amerika21.de vom Oktober 2011 nach der Übernahme der Präsidentschaft durch Ollanta Humala im Juli.
  • Wom-Blog: Nachrichten aus Lateinamerika – Kategorie Perú
  • Quetztal – Nachrichten aus Lateinamerika – Kategorie Perú
  • Peru-Bericht von Amnesty International: Berichte von Polizeiübergriffen bei Protesten gegen Minenprojekte. Außerdem wird die nachlässige Strafverfolgung von Militärangehörigen kritisiert, die während des staatlichen Gegenterrors Massaker und Menschenrechtsverletzungen zwischen 1986 und 2000 zu verantworten haben.
  • Bei Reporter Ohne Grenzen gibt es keine Einträge zu in Perú verhafteten Einzelpersonen. Die vorhandenen Meldungen hier beziehen sich in der Mehrzahl auf Attacken gegen Journalisten aus dem kriminellen Milieu im Zusammenhang mit der Berichterstattungen über den Drogenhandel oder die umstrittenen Minenprojekte. Andererseits gerät die Pressefreiheit durch diverse Prozesse in Gefahr, die von kritischer Berichterstattung betroffene Politiker gegen Journalisten auf dem Wege des Zivilrechts anstrengen. Die Prozesse enden teilweise mit haarsträubenden Urteilen. Hier ein paar Fälle aus den letzten Jahren in englischer Sprache.

Fotoalbum aus dem Juni 2009 mit Dokumenten über die mit erheblicher Polizeigewalt aufgelösten Proteste (inklusive Straßensperren) gegen ein Minenprojekt in Bagua. Insgesamt gab es seinerzeit 33 Tote darunter 23 Polizisten. Zwei Generäle der Nationalpolizei wurden inzwischen verurteilt.