Literarischer Andenkrimi: Roter April von Santiago Roncagliolo

Fundstück aus dem Ramsch bei Zweitausendeins: deutsche Ausgabe des Romans Abril Rojo (Roter April) des peruanischen Autors Santiago Roncagliolo, erschienen 2008 in deutscher Übersetzung bei Suhrkamp.

Im Grunde handelt es sich um eine Art Kriminalroman, der in der Andenmetropole Ayacucho im Frühjahr 2001 spielt. Im Kern geht es um den Versuch eines untergeordneten Bezirksstaatsanwalts eine brutale Mordserie aufzuklären. Bei seinen Ermittlungen gerät er in die Abgründe der peruanischen Geschichte – jene Jahre des Terrors und Gegenterrors in den Anden zwischen 1985 und 2000. Die Massaker und Gräuel der kommunistisch-maoistischen Organisation Sendero Luminoso auf der einen und den Staatsterror mit Tod und Folterungen von Militär und Geheimpolizei auf der anderen Seite.

Der Staatsanwalt glaubt an das geschriebene Recht und wird schnell eines Besseren belehrt. Die wahre Macht geht von undurchsichtigen Militärs aus, die für die Landbevölkerung nur Verachtung übrig haben und vor keinem Mittel zurückschrecken, um die Aktionen von Resten des Sendero zu unterbinden. Der Autor schildert drastischen Szenen, die man allerdings angesichts der tatsächlichen Brutalität der Geschehnisse als realistisch einstufen muss. Pittoresker Hintergrund des gesamten Szenarios bilden die exzessiven Osterfeierlichkeiten in Ayacucho mit ihrer Mischung aus inbrünstigem Katholizismus und der mystischen Feierkultur der indigenen Bevölkerung der Anden.

Insgesamt eine empfehlenswerte Lektüre, eine literarisch sehenswerte und würdige Aufarbeitung dieser dunklen Jahre.

Roncagliolo, geboren 1975 in Lima, lebt seit Jahren in Spanien und hat diverse Romane, Novellen und Stücke für Film und Fernsehen geschrieben. Abril Rojo wurde in mehrere Sprachen übersetzt.

Der Anbau und die Produktion von Kokain in Perú

Perú ist heute neben Kolumbien der größte Produzent von Kokain in Südamerika. Mehrere Dutzend Clans in den östlichen Andentälern teilen sich das Geschäft auf. Der Staat greift zu immer härteren Methoden, den Kokainbusiness zu stören. Die Kokainmafia ihrerseits wird immer gewalttätiger. Im Folgenden ein paar Fakten über den Kokainanbau in Perú

Eine Droge zerstört Südamerika: Kokain. Die Beispiele für die verheerenden Konsequenzen sind Legion. Kolumbien ist zwischen 1980 und 2000 in einen Bürgerkrieg abgerutscht, als sich die Kokabarone des Staates bemächtigen wollten und die diversen Guerillas sich zu veritablen Großproduzenten und Schmugglern aufschwangen. Mexiko versinkt in mörderischen Bandenkriegen, die sich mit ihrer Kultur der Gewalt immer tiefer in die Zivilgesellschaft hineinfressen .

Die Frage ist: kommt Perú als Nächstes?

Noch ist es einigermaßen ruhig, aber das kann sich schnell ändern. Erst letzte Woche wurden in den Andenprovinzen von so genannten narcoterroristas

  • zwei Hubschrauber der staatlichen Gasgesellschaft in die Luft gejagt, die auf einem Privatflugplatz standen. Der wird auch von den Anti-Drogenkommandos der peruanischen Armee genutzt.
  • zwei Polizisten bei einem Anschlag getötet. Die Attentäter verübten einen Sprengstoffanschlag auf ihren Polizeiwagen.

Aber wie ist der Drogenanbau und -schmuggel eigentlich organisiert in Perú? Welche Ausmaße hat das Problem?

Dazu sind wir auf eine umfangreiche Recherche der Reporter von IDL gestoßen, einer Gruppe von unabhängigen Journalisten, die grade erst einen renommierten Preis für investigativen Journalismus in Lateinamerika gewonnen haben.

Aus diesem Dossier ergibt sich folgendes Bild:

  • Perú ist heute neben Kolumbien mit einer Jahresproduktion von etwa 300-400 Tonnen der größte Kokainproduzent der Welt.
  • Insgesamt wird die Anbaufläche in Perú auf etwa 60.000 Hektar geschätzt.
  • In den Andentälern der Flüsse Apurimac, Ene und Mantaro – dieses Gebiet wird als VRAEM (Valle del Río Apurímac, Ene y Mantaro) bezeichnet – werden auf etwa 20.000 Hektar Kokain im lokalen Wert von 200 Mio USDollar produziert.
  • Den Anbau und die Vorproduktion der Kokapaste teilen sich im VRAEM 16 Clans untereinander auf, die jeweils 300 bis 500 Kilo der Droge pro Monat herstellen.
  • Ein weiteres Hauptanbaugebiet liegt in der Hochebene von Huallaga, mit einer Jahresproduktion von 90 Tonnen.
  • Das Kokain wird auf verschiedenen Routen nach Norden (Kolumbien) und Süden (Bolivien) geschmuggelt. Es kommen Rucksackträger zum Einsatz, aber auch Lastwagen werden entsprechend umgebaut. Über Landepisten im Dschungel wird ein reger Flugverkehr mit kleinen Propellermaschinen abgewickelt mit bis zu drei Starts pro Tag, die bis zu einer halben Tonne Ladung transportieren können.
  • Wenn der Preis für Kokain in Huallaga indiziert 1 beträgt, so steigt er auf 11, wenn er in Mexiko landet. In Spanien dann auf 45 und in Russland auf 109.

Der peruanische Staat reagiert. Hatte er bis 2006 fast völlig die Kontrolle über VRAEM verloren, besserte sich die Lage durch massiven Einsatz von Spezialkräften etwas – mit all den verheerenden Nebenwirkungen, die der unbarmherzige Kampf gegen die „Drogenterroristen“ – narcoterroristas – unter den Bewohnern der betroffenen Gebiete immer wieder fordert.

Trotzdem: Perú bekommt die Lage nur oberflächlich in den Griff. Die Reste von Sendero Luminoso haben den Drogenanbau und -schmuggel als wirksames Mittel entdeckt, ihre Kassen aufzubessern. Angeblich sollen sie schon 30 Prozent des Kokainhandels „kontrollieren“ – also vor allem Schutzgeld von den Clans erheben – angeblich im VRAEM bis zu 100.000 USD pro Monat.

Der Kampf gegen die Droge in den Anden ist allerdings schwierig, denn coca ist fest in die Alltagskultur der andinen Gesellschaften verwurzelt, auch wenn der Genuss der stimulierenden Pflanzenblätter in präkolumbianischen Zeiten religiösen Eliten vorbehalten war. Das hat sich geändert und Coca kann als Volksdroge in den Andenstaaten bezeichnet werden. Der traditionelle Genuss vor allem als Tee bzw. in zerkauter Form ist mehr oder wenig erlaubt. Vor allem durch den Aufstieg des Kokabauern Evo Morales zum Präsidenten von Bolivien hat sich die Sicht auf den traditionellen Kokaanbau verändert.

Tee mit Blättern des Cocastrauches

Coca tea

Die Hauptanbaugebiete von Coca in Perú


Anbaugebiete Kokain Perú auf einer größeren Karte anzeigen

Webfundstück: Der Lehrerstreik und Sendero

Einen sehr informativen Hintergrundartikel zur Rückkehr von Sendero Luminoso auf die politische Bühne Perús gibt es bei der Informationsstelle Peru e.V..

Der Autor Heinz Schulze kennt sich in Perú gut aus und hat mit Studierenden und Lehrern in den betroffenen Südregionen gesprochen. Im Kern geht es um die Unterwanderung der Lehrergewerkschaft SUTEP durch radikale Gruppen, die die maoistisch-nationalistische Lehre des Obersenderista Abimael „Gonzalo“ Guzmán verbreiten. In den letzten Monaten war es zu landesweiten Streiks der Lehrer gekommen, was zwar angesichts der desolaten Situation im peruanischen Bildunsgsystem nicht überraschen kann, durch Einfluss der Radikalen, so Schulze, aber wesentlich verschärft und politisiert wurde.

Der Autor warnt vor einem Wiedererstarken von Sendero Luminoso in Form des MOVADEF, einer Art Gefangenenhilfsorganisation für inhaftierte Ex-Sendero-Mitglieder. Fazit von Schulze:

Wenn es längere Zeit so aussah, dass die Überbleibsel des Sendero als Schutzorganisation für den Drogenhandel im Regenwald von Ayacucho, Flüsse Ene und Tambo (VRAE-Region) ihr Dasein fristeten, so stimmt das heute nicht mehr. Durch SUTEP-CONARE sind sie in Teilen der peruanischen Lehrergewerkschaft aktiv.

Das Werbevideo: Zu schön um wahr zu sein

Eigentlich handelt es sich um ein normales Werbevideo. Eine Zeitung soll verkauft werden. Doch irgendwas stimmt nicht an diesem Spot.

Beworben wird die neu gestaltete Sonntagsausgabe der zweitgrößten Tageszeitung des Landes: La Republica. Das Magazin-Supplement ist bekannt für seine meinungsbildenden Kolummnisten, gewagten Fotostrecken und innovativen Themen. Da Medien in Perú immer unter politischen Aspekten betrachtet werden sollten, übernehmen wir an dieser Stelle die Einschätzung der spanischen Wikipedia: centro izquierda moderado – gemäßigte linke Mitte. Vielleicht so eine Art Süddeutsche Zeitung.

Was zeigt das Video?

Zwei junge Leute. Sie sehen aus, wie… Spanier? Ich versuche es so übersetzen: dieses Paar verkörpert das Schönheitsideal der peruanischen Gesellschaft, bzw. deren Teil, den La Republica erreichen will. Was politisch gesehen eher nicht das konservative Bürgertum mit seinen oligarchischen Tendenzen ist. Der Spot richtet sich an die neue urbane Mittelschicht und denen, die dorthin aufsteigen wollen.

In dem Vorgang wird ein Widerspruch in der peruanischen Gesellschaft deutlich, den allerdings alle südamerikanischen Gesellschaften aufweisen. Denn der populäre, folkloristische Teil der gesellschaftlichen, sogar nationalen Identität wird gespeist aus vorkolonialen Traditionen. Man kann sogar von einer Wiederentdeckung dieser Wurzeln sprechen. Der bolivianische Präsident Evo Morales ist der bekannteste Protagonist, den diese Bewegung nach oben gespült hat. Selbst Sendero Luminoso hat mit derartigen Versatzstücken gespielt.

Diese Rückbesinnung bleibt aber oberflächlich, sie spiegelt sich nicht in der gesellschaftlichen Realität wieder. Dort herrschen andere Gesetze. Noch ist der (post)koloniale Rassismus, der die soziale Spaltung zementiert, innerhalb dieser Gesellschaften nicht überwunden. Der soziale Aufstieg ist vor allem deshalb schwer, weil der Staat schwach ist.

Was ich gar nicht zu deuten vermag ist das Fahrrad, mit dem der männliche Darsteller in drei Einstellungen hantiert. Ist Fahrrad grade Mode in Perú?

Toll auch diese Szenerie in neoklassizistischem Architekturensemble. Eben NICHT die modernen Glitzerpaläste aus Stahl und Glas. Präsentiert wird die leicht morbide Pracht untergegangener Großbürgerlichkeit.

Die Tochter des Diktators

El Perú wurde zwischen 1990 und 2001 quasi diktatorisch regiert von Alberto Fujimori. Zunächst überraschend zum Präsidenten gewählt, höhlte er im Laufe dieser Jahre den Parlamentarismus systematisch aus, verpasste Perú eine neoliberale, wirtschaftliche Rosskur und schnitze sich eine neue Verfassung. Zwar wurde er zweimal wiedergewählt, aber diese Wahlen müssen als wenig fair und gelenkt bezeichnet werden. In Fujimoris Amtszeit fällt die Zerschlagung der Guerillaorganisation Sendero Luminoso mit allerdings brutalen Mitteln und massiven Menschenrechtsverletzungen. Fujimori versank 2001 in einem riesigen Korruptionsskandal, setze sich nach Japan ab und wurde 2005 nach seiner Auslieferung durch Chile in mehreren Prozessen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Fujimori hat Folterungen geduldet und Massaker angeordnet.

Inzwischen ist der 74-Jährige an Krebs erkrankt und pendelt nach mehreren Operationen zwischen Krankenhaus und Justizvollzugsanstalt, genauer gesagt dem Sitz der Dirección de Operaciones Especiales (Diroes) de la Policía Nacional del Perú – der Direktion für Spezialeinsätze der Nationalpolizei Perús. Allerdings verschlechtert sich Fujimoris Gesundheitszustand wohl rapide. Diesen Eindruck wollte auf jeden Fall seine Tochter Keiko Fujimori vermitteln, als sie heute vor die Presse trat und ankündigte, ihr Vater werde ein Gnadengesuch beim amtierenden peruanischen Präsidenten einzureichen. Kern der Botschaft: Alberto Fujimori sei todkrank, haftunfähig und solle aus humanitären Gründen auf freien Fuß gesetzt werden. Ihr Statement war heute der Aufreger in den peruanischen Medien.

Hier eine Videoaufzeichnung: http://peru21.pe/politica/pedido-sus-hijos-alberto-fujimori-pide-indulto-humanitario-2044230

Die Tochter des Diktators ist nicht irgendwer sondern inzwischen selbst in der Politik tätig. Die 39-Jährige trat bei den Wahlen im Frühjahr 2011 für die Partei Fuerza 2011 – Kraft 2011 – als Spitzenkandidatin an. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: mit 23,5 Prozent holte die Partei 37 von 130 Sitzen im peruanischen Parlament und stellt damit die zweitstärkste Fraktion im peruanischen Parlament. Bei der gleichzeitig stattfinden Direktwahl des Präsidenten unterlag Keiko Fujimori mit 48,5 Prozent nur knapp gegen den aktuellen Amtsinhaber Ollanta Humala (51,5 Prozent).

Die Sache ist verworren: Vater und Tochter haben bereits zu Amtszeiten Fujimoris viele gemeinsame Auftritte bestritten, denn die Tochter trat nach der Scheidung der Eltern 1994 als eine Art First Lady auf. Jahrelang verteidigte sie später ihren Vater und sammelte dessen politisches Erbe ein. Mehrere Untersuchungen des peruanischen Staates haben in der Zwischenzeit versucht, ihre Verhältnisse zu überprüfen, nachweisen konnte man ihr allerdings nichts. Heute ist die Tochter des Diktators eine populistische Ordnungspolitikerin, die die wirtschaftlichen Maßnahmen ihres Vaters als bahnbrechende Reformen preist. Ein eindeutige Distanzierung von dessen Verbrechen hat nie stattgefunden.

Foto: Foto des Congreso de la Republica del Perú – Kongress der Republik Perú. Frau Fujimori empfängt eine Delegation des Europäischen Parlamentes. Veröffentlich auf Flickr unter CC-Lizenz

[Update: Grade noch gesehen: Brief von Alberto Fujimori, in dem er seinen miserablen Gesundheitszustand beschreibt. Diagnose: Zungenkrebs. Aus El Comercio]