Lima: Zwei Tote bei Revolte von Kleinhändlern

In Lima hat es gestern schwere Straßenschlachten mit zwei Toten und fast einhundert Verletzten gegeben. Die Auseinandersetzungen zogen sich den ganzen Nachmittag und den Abend hin. Steinhagel, Barrikadenbau, Einsatz von Reiterstaffeln, Schlagstöcken und Schusswaffen, Plünderungen und Festnahmen – der Krawall war immens.

Der Hintergrund ist mir nicht in allen Details klar, aber der Konflikt schwelt schon seit Wochen. So wie ich es verstanden habe, geht es um die Verlegung eines Marktes. Wenn man sich die Satellitenbilder auf Google Maps anschaut, erkennt man deutlich die drei Areale mit hunderten von kleinteiligen Marktständen. Diese sollten zumindest teilweise an einen anderen Ort verlegt, wogegen sich die aktuellen Kleinhändler (daher mercado minorista) massiv zur Wehr setzen, zunächst mit vielen Protestaktionen.


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Nachdem mehrere Ultimaten der Behörden verstrichen waren, sollte nun gestern der Bereich unter Einsatz von Polizeikräften „friedlich“ geräumt werden. Daraus wurde nichts, im Gegenteil. Die Lage eskalierte enorm und griff auf benachbarte Stadtviertel über. Offenbar musste sich die Polizei angesichts des immensen Widerstandes zeitweilig aus dem Gebiet zurückziehen, um dann mit insgesamt 5.000 Einsatzkräften und massivem Gewalteinsatz die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen. In dieser Zeit kam es in dem angrenzenden Emporio Comercial de Gamarra, einem Handelszentrum für Textilien, zu umfangreichen Plünderungen.

[Ganz interessant: die peruanische Designszene startet Versuche in diesem quirligen Viertel. Schöne Website. Sehr gute Infos über das Textilviertel Gamarra, in dem über 50.000 Menschen arbeiten, in diesem Artikel von InfoAmazonas.de]

Die limeñischen Medien bringen die Straßenschlachten in dem Stadtteil La Parada in großen Aufmachern und schrecken vor drastischen Bildern nicht zurück. Von den Ausschreitungen selbst gibt es umfangreiches Videomaterial, das gnadenlos ausgestrahlt wird. Hier drei Beispiele. Die Kameraleute scheinen ziemlich unerschrocken zu sein und drehen im heftigsten Steinhagel weiter, ja, zerren verletzte Polizisten in Sicherheit. Man erkennt deutlich, dass die Polizisten ihrerseits mit Steinwürfen auf die Attacken der Händler und ihrer Tagelöhner – und was sonst an vandálicos, so die Sensationspresse, die Gelegenheit genutzt hat – reagiert.

[Wenn die folgenden zwei Videos nicht angezeigt werden, bei Interesse mal gehen zu Perú.com. Dort alle Artikel (Videosymbol!) zum Vorfall, es sind allein auf dieser Seite mehr als ein Dutzend.]

Der Anbau und die Produktion von Kokain in Perú

Perú ist heute neben Kolumbien der größte Produzent von Kokain in Südamerika. Mehrere Dutzend Clans in den östlichen Andentälern teilen sich das Geschäft auf. Der Staat greift zu immer härteren Methoden, den Kokainbusiness zu stören. Die Kokainmafia ihrerseits wird immer gewalttätiger. Im Folgenden ein paar Fakten über den Kokainanbau in Perú

Eine Droge zerstört Südamerika: Kokain. Die Beispiele für die verheerenden Konsequenzen sind Legion. Kolumbien ist zwischen 1980 und 2000 in einen Bürgerkrieg abgerutscht, als sich die Kokabarone des Staates bemächtigen wollten und die diversen Guerillas sich zu veritablen Großproduzenten und Schmugglern aufschwangen. Mexiko versinkt in mörderischen Bandenkriegen, die sich mit ihrer Kultur der Gewalt immer tiefer in die Zivilgesellschaft hineinfressen .

Die Frage ist: kommt Perú als Nächstes?

Noch ist es einigermaßen ruhig, aber das kann sich schnell ändern. Erst letzte Woche wurden in den Andenprovinzen von so genannten narcoterroristas

  • zwei Hubschrauber der staatlichen Gasgesellschaft in die Luft gejagt, die auf einem Privatflugplatz standen. Der wird auch von den Anti-Drogenkommandos der peruanischen Armee genutzt.
  • zwei Polizisten bei einem Anschlag getötet. Die Attentäter verübten einen Sprengstoffanschlag auf ihren Polizeiwagen.

Aber wie ist der Drogenanbau und -schmuggel eigentlich organisiert in Perú? Welche Ausmaße hat das Problem?

Dazu sind wir auf eine umfangreiche Recherche der Reporter von IDL gestoßen, einer Gruppe von unabhängigen Journalisten, die grade erst einen renommierten Preis für investigativen Journalismus in Lateinamerika gewonnen haben.

Aus diesem Dossier ergibt sich folgendes Bild:

  • Perú ist heute neben Kolumbien mit einer Jahresproduktion von etwa 300-400 Tonnen der größte Kokainproduzent der Welt.
  • Insgesamt wird die Anbaufläche in Perú auf etwa 60.000 Hektar geschätzt.
  • In den Andentälern der Flüsse Apurimac, Ene und Mantaro – dieses Gebiet wird als VRAEM (Valle del Río Apurímac, Ene y Mantaro) bezeichnet – werden auf etwa 20.000 Hektar Kokain im lokalen Wert von 200 Mio USDollar produziert.
  • Den Anbau und die Vorproduktion der Kokapaste teilen sich im VRAEM 16 Clans untereinander auf, die jeweils 300 bis 500 Kilo der Droge pro Monat herstellen.
  • Ein weiteres Hauptanbaugebiet liegt in der Hochebene von Huallaga, mit einer Jahresproduktion von 90 Tonnen.
  • Das Kokain wird auf verschiedenen Routen nach Norden (Kolumbien) und Süden (Bolivien) geschmuggelt. Es kommen Rucksackträger zum Einsatz, aber auch Lastwagen werden entsprechend umgebaut. Über Landepisten im Dschungel wird ein reger Flugverkehr mit kleinen Propellermaschinen abgewickelt mit bis zu drei Starts pro Tag, die bis zu einer halben Tonne Ladung transportieren können.
  • Wenn der Preis für Kokain in Huallaga indiziert 1 beträgt, so steigt er auf 11, wenn er in Mexiko landet. In Spanien dann auf 45 und in Russland auf 109.

Der peruanische Staat reagiert. Hatte er bis 2006 fast völlig die Kontrolle über VRAEM verloren, besserte sich die Lage durch massiven Einsatz von Spezialkräften etwas – mit all den verheerenden Nebenwirkungen, die der unbarmherzige Kampf gegen die „Drogenterroristen“ – narcoterroristas – unter den Bewohnern der betroffenen Gebiete immer wieder fordert.

Trotzdem: Perú bekommt die Lage nur oberflächlich in den Griff. Die Reste von Sendero Luminoso haben den Drogenanbau und -schmuggel als wirksames Mittel entdeckt, ihre Kassen aufzubessern. Angeblich sollen sie schon 30 Prozent des Kokainhandels „kontrollieren“ – also vor allem Schutzgeld von den Clans erheben – angeblich im VRAEM bis zu 100.000 USD pro Monat.

Der Kampf gegen die Droge in den Anden ist allerdings schwierig, denn coca ist fest in die Alltagskultur der andinen Gesellschaften verwurzelt, auch wenn der Genuss der stimulierenden Pflanzenblätter in präkolumbianischen Zeiten religiösen Eliten vorbehalten war. Das hat sich geändert und Coca kann als Volksdroge in den Andenstaaten bezeichnet werden. Der traditionelle Genuss vor allem als Tee bzw. in zerkauter Form ist mehr oder wenig erlaubt. Vor allem durch den Aufstieg des Kokabauern Evo Morales zum Präsidenten von Bolivien hat sich die Sicht auf den traditionellen Kokaanbau verändert.

Tee mit Blättern des Cocastrauches

Coca tea

Die Hauptanbaugebiete von Coca in Perú


Anbaugebiete Kokain Perú auf einer größeren Karte anzeigen

Webfundstück: Der Lehrerstreik und Sendero

Einen sehr informativen Hintergrundartikel zur Rückkehr von Sendero Luminoso auf die politische Bühne Perús gibt es bei der Informationsstelle Peru e.V..

Der Autor Heinz Schulze kennt sich in Perú gut aus und hat mit Studierenden und Lehrern in den betroffenen Südregionen gesprochen. Im Kern geht es um die Unterwanderung der Lehrergewerkschaft SUTEP durch radikale Gruppen, die die maoistisch-nationalistische Lehre des Obersenderista Abimael „Gonzalo“ Guzmán verbreiten. In den letzten Monaten war es zu landesweiten Streiks der Lehrer gekommen, was zwar angesichts der desolaten Situation im peruanischen Bildunsgsystem nicht überraschen kann, durch Einfluss der Radikalen, so Schulze, aber wesentlich verschärft und politisiert wurde.

Der Autor warnt vor einem Wiedererstarken von Sendero Luminoso in Form des MOVADEF, einer Art Gefangenenhilfsorganisation für inhaftierte Ex-Sendero-Mitglieder. Fazit von Schulze:

Wenn es längere Zeit so aussah, dass die Überbleibsel des Sendero als Schutzorganisation für den Drogenhandel im Regenwald von Ayacucho, Flüsse Ene und Tambo (VRAE-Region) ihr Dasein fristeten, so stimmt das heute nicht mehr. Durch SUTEP-CONARE sind sie in Teilen der peruanischen Lehrergewerkschaft aktiv.

Die vergessenen Minen des Diktators

25 Spezialisten, in der Mehrzahl aus Bosnien (!), sind an der chilenischen Grenze zu Perú eingetroffen, um dort Minen zu bergen? Diese Nachricht gestern hat uns neugierig gemacht. Wie kann es sein, dass es in Südamerika verminte Grenzen gibt? Erblast welchen Krieges sollte das sein?

Keine Kriege, aber auch kein Frieden
Sicher, es gab immer wieder Krieg zwischen den südamerikanischen Ländern, aber die letzten bewaffneten Auseinandersetzungen liegen doch schon eine Weil zurück: Der große Krieg um die Herrschaft über die Salpetervorkommen fand zwischen 1879 und 1883 statt.

Seitdem herrscht Ruhe, aber es ist ein mehr oder weniger angespannter Zustand. So richtig grün sind sich die Nationen nicht. Noch 2008 eskalierten die langwierigen Verhandlungen über die Meeresgrenzen, sodass Perú vor dem internationalen Gerichtshof der UNO eine Klage gegen Chile einreichte. Ende offen. Von europäischen Verhältnissen kann man in Südmaerika jedenfalls nicht sprechen.

Pinochets Erbe
Die erwähnten Minen hat Anfang der 70er der chilenische Diktator General Pinochet verlegen lassen. Pinochet fühlte sich auf Grund des gegen ihn und seine Putschregierung verhängten Waffenembargos geschwächt und entschied sich in seiner paranoiden Großmannssucht für eine minenbewehrte Verteidigungsstrategie. Insgesamt sollen 180.000 Antipersonenminen an den Grenzen zu Perú, Bolivien und Argentinien verlegt worden sein. So ganz genau ist das offenbar nicht mehr rekonstruierbar.

Minen werden angespült
Mit der Unterzeichnung des Abkommens von Ottawa, mit dem 2002 die Nutzung und Verbreitung von Antipersonenminen verboten wurde, kamen Verhandlungen zwischen den Staaten in Gang. Daraufhin wurden viele tausend Minen entfernt. Aber eben noch nicht alle. Immer wieder passieren Unfälle. Erst im Mai ging ein PKW von Schmugglern hoch, die trotz Warnschildern in ein Minenfeld hineingefahren waren.

Im Februar musste sogar Grenze zwischen Tacna (Perú) und Arica (Chile) geschlossen werden musste. Starke Regenfälle in den Anden hat Minen dort freigespült und bis in das pazifische Tiefland gespült. Daraufhin kamen die peruanische und die chilenische Regierung überein, ein erfahrenes Team der norwegischen NGO Peoples Aid herzubitten, dessen Chef bereits im Irak und Afghanistan Minenräumungen organisiert hat. Jetzt ist das Team in Chile eingetroffen und wird das gefährliche Erbe des Diktators entschärfen.

Das Bild hat mit den geschilderten Zusammenhängen nichts zu tun, es zeigt allerdings den chilenischen Präsidenten Piñera bei einem Besuch vor einer Woche in der betroffenen Region, 7 Kilometer von der peruanischen Grenze entfernt.

Sebastián Piñera en Arica

Quellen
Bericht aus ElPeru.com
Artikel über die Minen aus ElMostrador.cl
Artikel Radio Perú
Artikel in LaSegunda

Das Werbevideo: Zu schön um wahr zu sein

Eigentlich handelt es sich um ein normales Werbevideo. Eine Zeitung soll verkauft werden. Doch irgendwas stimmt nicht an diesem Spot.

Beworben wird die neu gestaltete Sonntagsausgabe der zweitgrößten Tageszeitung des Landes: La Republica. Das Magazin-Supplement ist bekannt für seine meinungsbildenden Kolummnisten, gewagten Fotostrecken und innovativen Themen. Da Medien in Perú immer unter politischen Aspekten betrachtet werden sollten, übernehmen wir an dieser Stelle die Einschätzung der spanischen Wikipedia: centro izquierda moderado – gemäßigte linke Mitte. Vielleicht so eine Art Süddeutsche Zeitung.

Was zeigt das Video?

Zwei junge Leute. Sie sehen aus, wie… Spanier? Ich versuche es so übersetzen: dieses Paar verkörpert das Schönheitsideal der peruanischen Gesellschaft, bzw. deren Teil, den La Republica erreichen will. Was politisch gesehen eher nicht das konservative Bürgertum mit seinen oligarchischen Tendenzen ist. Der Spot richtet sich an die neue urbane Mittelschicht und denen, die dorthin aufsteigen wollen.

In dem Vorgang wird ein Widerspruch in der peruanischen Gesellschaft deutlich, den allerdings alle südamerikanischen Gesellschaften aufweisen. Denn der populäre, folkloristische Teil der gesellschaftlichen, sogar nationalen Identität wird gespeist aus vorkolonialen Traditionen. Man kann sogar von einer Wiederentdeckung dieser Wurzeln sprechen. Der bolivianische Präsident Evo Morales ist der bekannteste Protagonist, den diese Bewegung nach oben gespült hat. Selbst Sendero Luminoso hat mit derartigen Versatzstücken gespielt.

Diese Rückbesinnung bleibt aber oberflächlich, sie spiegelt sich nicht in der gesellschaftlichen Realität wieder. Dort herrschen andere Gesetze. Noch ist der (post)koloniale Rassismus, der die soziale Spaltung zementiert, innerhalb dieser Gesellschaften nicht überwunden. Der soziale Aufstieg ist vor allem deshalb schwer, weil der Staat schwach ist.

Was ich gar nicht zu deuten vermag ist das Fahrrad, mit dem der männliche Darsteller in drei Einstellungen hantiert. Ist Fahrrad grade Mode in Perú?

Toll auch diese Szenerie in neoklassizistischem Architekturensemble. Eben NICHT die modernen Glitzerpaläste aus Stahl und Glas. Präsentiert wird die leicht morbide Pracht untergegangener Großbürgerlichkeit.